Hallo Ihr in Deutschland oder in anderen Teilen der Welt Verbliebenen,
Nach knapp 7 Wochen in China möchte ich doch mal wieder ein Lebenszeichen
von mir geben. In der Zwischenzeit habe ich mich hier in Beijing ganz
gut eingelebt. Besonders die Ferienwoche um den Nationalfeiertag herum,
hat mir sehr gut getan, und ich konnte meine Virusinfektion gut auskurieren.
Ja ihr habt richtig gehört, das, was ich auf alle Fälle vermeiden
wollte, ist mir dann doch widerfahren. Nachdem ich ca. eine Woche eine
ziemlich heftige Erkältung mit mir herumgeschleppt habe und auch
die chinesischen Heilmittelchen einfach nicht mehr helfen wollten, bin
ich morgens stumpf im Bett liegengeblieben. Der Unterricht war mir so
ziemlich schnurz piep egal, obwohl auch ein Tag krank sein schon zur
30% Fehlquote beiträgt und man bei Überschreitung dieser Quote
nicht mehr an der Prüfung teilnehmen kann. Ming (meine Mitbewohnerin)
hat dann kurzerhand unseren Nachbarn aus dem Tiefschlaf getrommelt und
gefragt ob er mich nicht ins gegenüberliegende Krankenhaus begleiten
will. Er ist ein Arzt aus den Staaten (Ami-Chinese) und er spricht daher
eben auch noch fliessend Chinesisch. Kurz und gut. Nach 5 Stunden Aufenthalt
mit Bluttests, Röntgen (hey DAAD folks, Frau Böhme hatte Recht
mit den Geräten aus den 70er Jahren!) und diversen anderen Tests
inklusive, kam dann heraus, dass ich mir eine heikle Virusinfektion
eingefangen hatte. Das hieß, dass ich danach zur Infusion musste.
Ich und Nadeln! Bei dem Bluttest wollte ich ja schon fast weglaufen.
Der Ami hat mich zum Glück ein bisschen beruhigt, aber weh tat
das trotzdem ganz schön. (Ich bin eben nicht fürs Krankenhaus
geboren!) Nun ja die darauffolgenden 3 Tage hieß es dann für
mich, morgens zum Krankenhaus zu gehen und dort dann für 2-3 Stunden
an der Flasche zu hängen (IV). Man muß sich das dann so vorstellen:
Man betritt einen Raum ca. 14 m² in dem ca. 18 Sesselstühle
stehen und darüber Befestigungen herunterbaumeln, wo dann die selbstgekauften
Infusionsflaschen herunterbaumeln. Dann sitzt man dann auf einem dieser
Stühle und wird von 34 Augenpaaren neugierig angeglupscht. Wenn
man dann auch noch mit der leidigen Sesselnachbarin small talk anfängt,
hören natürlich alle genau zu, was man so zu sagen hat und
wie gut denn das Chinesischlevel ist. Am ersten Tag haben die netten
(wirklich netten) Krankenschwestern mal wieder meine Adern nicht gefunden.
Ich sage Euch ich habe da Laute von mir gegeben. Das war eher schmerzhaft,
aber auch peinlich wie ihr Euch vorstellen könnt. Aber das einzige
was ich immer im Kopf hatte, war, wo nehmen die denn die Nadeln her?
Am ersten Tag habe ich meinen Begleiter ständig gefragt wo sie
was wegholen, wie sie desinfizieren etc. Ich mußte im nachhinein
also wirklich feststellen, dass in Beijing und umzu Einwegspritzbesteck
benutzt wird. Zudem war das ein Navy-Krankenhaus und der Standard war
wirklich schon gut. Eine deutsche Ärztin aus Guangzhou erzählte
mal, dass die Chinesen eher Angst haben von den Ausländern mit
Aids infiziert zu werden als umgedreht, und aus Selbsschutz benutzen
sie daher Einwegbesteck. Alles in allem kenne ich mich nun in dem Krankenhaus
jetzt schon prima aus, kenne die Ärztin und einige der Krankenschwestern
und bin wieder um einige Erfahrungen und einige Nadelstiche reicher.
In der freien Ferienwoche haben wir (ein paar Freunde) uns spontan entschlossen
zur großen Mauer zu fahren. Das war mal wieder ein unvergessliches
Erlebnis. Wir sind zum Mauerabschnitt Mutianyu gefahren. Nachdem das
Wetter eher diesig war, kam zum Abstieg hin die Sonne raus und der Himmel
klarte auf. Die gewisse würzige Note gab es dann aber noch am Ende
des Tages, als wir in ein Restaurant einkehrten. Nachdem wir uns dort
pappensatt gegessen hatten mit Gemüse und selbstausgesuchtem Fisch,
wurde es merklich laut hinter unserem Tisch. Ein Mann fuchtelte wild
mit einer Axt umher. Wir haben uns da erst nicht soviel bei gedacht,
bis das Geschrei lauter wurde. Die Menschenmenge verengte sich und plötzlich
entwickelte sich eine filmreife Prügelei vor unseren Augen. Das
war eher traurig als alles andere, da die Männer aufeinanderlosgingen,
eine Frau mit weinendem Baby auch noch dazwischen ging...es war dramatisch.
Nachdem wir es mit der Angst zu tun kriegten, da die Truppe nun schon
fast vor unserem wälzte, ergriffen wir die Flucht. Ab diesem Tag
verstehe ich warum die daily soaps hier so dramatisch sind und Menschen
sich weinend auf die Straße werfen, laut herumbrüllen. Dieses
Volk ist in vielerlei Hinsicht einfach laut und manchmal eben auch unbeherrscht.
Im Fernsehen wird dies dann natürlich auch noch übertrieben
dargestellt.
Gestern hat es hinter unserem Haus in der Restaurantküche gebrannt,
die direkt als Anbau an das Haus grenzt. Zwei Leute bei uns gucken morgens
aus dem Fenster und da sehen sie nur eine Stichflamme und alles roch
verbrannt und nach Gas. Die waren ganz schön angepisst, weil kein
Mensch Ihnen etwas gesagt hat, geschweige denn Evakuierungsmaßnahmen
getroffen wurden. Es ist bei uns nichts passiert, sie hatten halt eben
nur Angst, dass Explosionsgefahr bestand. Nachdem sie dies unserer Lehrerin
gesagt haben und alle betroffen waren, wurden unsere 10 Jahre alten
oder älter wahrscheinlich ungewarteten Feuerlöscher aus den
Flurkammern entfernt und dafür gibt es jetzt ganz Neue, die in
den Hauptfluren stehen. Das ist China, erst muß was passieren,
damit zum Handeln angeregt wird.
Vorgestern habe ich mich nachmittags mit Anneke getroffen, um einzukaufen.
Auf meinem Plan standen dicke Socken und dicke Pullover, denn so langsam
wird es hier auch lausig kalt. In unseren "SOS- Kinderdorf-Klassenzimmern"
wird die Heizung erst ab Mitte November zentral eingeschaltet. Ihr könnt
Euch also vorstellen, wie das hier so wird. Wir sind aber mit unseren
Wohnheimzimmern super zufrieden, die haben echt Westcharakter. Vor 5
oder 7 Jahren mussten die Leute noch über den Hof zum Duschen in
die Kälte. Also da haben wir es ja echt noch gut getroffen. An
der Beijing Universität (die renommierteste in China, wirklich,
zumindest was Unterricht, Umgebung und Sport- und Freizeitmöglickeiten
angeht) geht es in einigen Wohnheimen aber richtig schlimm zu. Die schlafen
auf dünnen Matten und haben keine Heizung. Im Winter schlafen dann
die Weicheier alias Ausländer in Thermoschlafsäcken, weil
es sonst zu kalt ist. Tja und wir haben so eine tolle Klimaanlage, die
auch heizen kann und so sitze ich jetzt schon in einem warmen Zimmer.
:)
Gestern waren wir Bremer wieder im Uigurenviertel essen, das ist dort
preiswert und superlecker. Man fühlt sich da wie in der Tiefe Afghanistans
oder sonstwo. Dort ist es sinniger, arabisch oder irgendein Türk-Dialekt
studiert zu haben als chinesisch. Das ist dort extrem dreckig, etwas
unheimlich aber superinteressant. Die Menschen dort sind viel freundlicher
als die Pekingchinesen, die immer sehr grummelig sind. Auf jeden Fall
sitzen die Menschen abends dort auf den Straßen bzw. in den kleinen
Gassen, Essen wird mitten auf der Straße zubereitet. Offene Feuerstellen
mit Grill und Lammspießen (natürlich kleine) werden dort
gebraten, arabische Jalla-Jalla-Musik dröhnt aus irgendwelchen
Lautsprechern. Anstatt chinesische Zeichen sieht man nur arabische Schriftzeichen.
Auf den Tischen vor den kleinen Restaurants sind viele kleine Sesambrezel
und Fladenbrote und andere Spezialitäten aufgebaut... das ist echt
ein kleines Erlebnis. Die kennen uns dort schon, und wir werden dort
bestimmt noch zu Stammgästen. Gestern mußte Buu Buu, eine
Mitstudierende aus Bremen, ziemlich dringend auf Toilette. Bis wir die
öffentliche Toilette gefunden haben, hat es ganz schön gedauert.
Buu Buu hat da voll den Schlag gekriegt weil es so fürchterlich
gestunken hat und sie Angst hatte im Dunkeln in den Schacht (wo man
sich halt drüber hält) zu treten und in den Schacht zu fallen.
Ich fand das sehr lustig und habe mich vor dem Eingang erstmal halb
tot gelacht. Leider haben sich die Koreanerin und Ming mit denen wir
zusammen Essen waren schon voll die Sorgen gemacht, weil wir nicht wiederkamen
und uns ein Kellner bis zur Hälfte des Weges angeblich gefolgt
ist. Aber wir gehen dort nur zu mehreren Leuten hin, Die Menschen sind
supernett und es ist eben immer nur sehr gewöhnungsbedürftig.
Lustigerweise halten mich die Leute hier immer für eine Russin.
Im Vorbeigehen schnappe ich das immer auf, wenn sie sagen "orlorse",
also russisch. Tja, weiß ich auch nicht. Ich sehe doch nun wahrlich
nicht wie eine Russin aus, oder stecken in Opa Heinz noch irgendwelche
polnisch-russichen Gene? Na ja, die reden hier halt eben immer so ein
Unsinn. Manchmal werde ich ja auch für eine Amerikanerin gehalten.
Aber auf deutsch sind die noch nicht gekommen.
Ansonsten reißt die Kette mit den sogenannten Übungen (also
benotete Tests) im Unterricht nicht ab. Wir wissen gar nicht, was wir
zuerst oder zuletzt lernen sollen, wenn wir an die Zwischenprüfung
denken. Der Unterricht nimmt halt eben zu 75-80% unseres Lebens hier
ein, was wir meistens gar nicht so prickelnd finden. Neuerdings haben
wir am nachmittag auch Taijiquan und Kalligraphie, das macht echt Spaß
und ist eine willkommene Abwechslung.
So meine Lieben, ich hoffe es ergeht Euch gut im kalten Deutschland,
in Shanghai, in Chengdu oder wo immer ihr Euch herumtreibt ;)
Laßt mal was von Euch hören.
Schöne Grüße aus dem herbstlichen Beijing
Nina
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